Rede auf dem gemeinsamen Jahresempfang des Bayerischen Rundfunks und der ARD-Programmdirektion
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Frau Vorsitzende des Verwaltungsrats, Landtagspräsidentin Ilse Aigner, liebe Kolleginnen und Kollegen,
auch von meiner Seite ein herzliches Willkommen zum diesjährigen gemeinsamen Medienempfang des Bayerischen Rundfunks und der ARD-Programmdirektion. Schön, dass Sie da sind.
Denn dieser Abend soll eine Plattform bieten - ganz analog - für den Gedankenaustausch zwischen Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Medien. Und dieser Dialog – er ist wichtiger denn je. Weil ja gerade so Vieles, was einst sicher schien, längst in Bewegung geraten ist. Das gilt für die politischen Eruptionen dieser Republik – wie derzeit ja gut zu beobachten. Das gilt für gesellschaftliche Brüche und wirtschaftlichen Wandel. Obwohl es uns einerseits wohl so gut geht, wie nie zuvor in der Geschichte dieses Landes, werden Debatten immer alarmistischer, machen sich Ängste und Verunsicherungen breit. „Harte Jahre“, hat unsere, ja nicht gerade zu Aufgeregtheiten neigende, Bundeskanzlerin unlängst prognostiziert- , harte Jahre, weil die Welt sich radikal wandelt, durch Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel, etwa.
Disruptive Veränderungen aber bedeuten – Ungewissheit. Manche sehen darin nur die Bedrohung. Je reißender der Fluss des Geschehens, umso verlockender ist es, sich an alles zu klammern, was Halt verspricht. Auch wenn es nicht taugt, wie die Heilsversprechen politisch unverantwortlicher Populisten. Viele Menschen sehnen sich nach Sicherheit, Stabilität und einfachen Gewissheiten - nach der - gefühlt - guten alten Zeit. – Eine Sehnsucht, die der Autor Joachim Meyerhoff in die Worte kleidete: „Wann wird es endlich wieder so, - wie es nie war.“
Wird es nicht! – Auch nicht für uns Medienschaffende. Wir sind ja mittendrin im Technologie-getriebenen Strukturwandel der Öffentlichkeit. Jeder sendet heute jederzeit. Klassische Gatekeeper haben an Bedeutung stark eingebüßt. Und die sozialen Netzwerke haben sich zunehmend entfernt - vom Menschheitstraum des grenzenlosen Zugangs zu Information und damit nie dagewesener Freiheit des Individuums. Stattdessen sind sie auch mutiert - zu Brutstätten der Desinformation, der Täuschung und der Hetze. Und jede einmal digitalisierte Message hat das Verbreitungspotential, einen Sturm zu entfachen.
So geraten Themen, sachliche Kontroversen, rasch in den Schleudergang der Eskalations- und Empörungstrommeln - und damit zwischen die Fronten eines jakobinischen Moralismus der „juste milieus“ einerseits und den Troll-Armeen rechter Mikro-Influenzer andrerseits. - -
Wahrheit erkennt man, - eine Meinung bildet man sich, so hat es Hannah Arendt einst geschrieben. Im Netz - ist es häufig umgekehrt. Schlimmer noch: - Die datenökonomisch getriebene Logik des Netzes wirkt wie ein Corona-Virus infizierend - selbst - bei Qualitätsmedien.
So werden politische Diskussionen kurzatmiger, manipulationsanfälliger, polemischer. Auch der klassische Journalismus ist nicht durchweg resistent gegen überstürzte Bewertungen statt genauer Kenntnis. - Wozu noch Ahnung, wenn man Haltung hat? - -
Uns darf auch nicht die Fähigkeit entgleiten, zwischen dem Relevanten und dem Nebensächlichen zu unterscheiden, die Hierarchie von Bedeutungen zu erfassen.
Der Rückzug von Prinz Harry und Herzogin Meghan von ihren royalen Pflichten nimmt es ja schon 'mal locker auf - mit dem Iran- und Nahost-Konflikt. Und manche zänkische Hauptstadtnickelichkeit wird dramatjscher in Szene gesetzt als der politische Orkan, der seit den Thüringer Wirrungen die Bundespolitik durchwirbelt - und vielleicht noch mehr wegfegt - als bereits jetzt.
Nun ist Berlin nicht Weimar. Auch dann nicht, wenn Erfurt sich so gebärdet. Die Zwanziger Jahre heute, sind nicht jene von damals. Gleichwohl sollten wir die Augen nicht verschließen – vor den Lehren des vergangenen Jahrhunderts: Wie nämlich gesellschaftliche Brüche zu politischer Radikalisierung führen können, und wie rechte Kräfte Verunsicherung in politisches Kapital umzumünzen verstehen, um das "System" - wie sie sagen -, also nichts Anderes als unsere demokratische Ordnung, zu zersetzen.
„Die mediale Aufmerksamkeit darf sich nicht“, - so hat es die Schriftstellerin Jagoda Marinić gefordert, - Zitat – „auf die Erregungsschleifen über twittertaugliche Thesen richten, sondern muss sich dem Kampf um Ideen widmen, die großen Fragen unserer Zeit angehen.“
Ja, so ist es: Wenn wir populistischen Vereinfachern und Verführern - mit ihren scheinbar so leichten Rezepten – wenn wir denen das Terrain streitig machen wollen, dann müssen die offene Gesellschaft und ihre Freunde fest halten an der kontroversen, aber sachorientierten Auseinandersetzung mit den relevanten und komplexen Herausforderungen unserer Zeit.
Wir müssen die Relevanz wieder stärker ins Zentrum rücken. Themen haben wir ja reichlich: die Lage des Planeten etwa, die Folgen weiterer Digitalisierung und künstlicher Intelligenz, die Sicherheit einer globalen Welt u.v.m.
Es ist unsere Aufgabe, Zukunftsfragen zu stellen, um die angemessenen Lösungen zu ringen und auch die Chancen herauszuarbeiten. Denn die Fokussierung auf Risiken und das Schüren von Ängsten sind der Nährboden des Populismus.
Was tun, also? – Rückbesinnung auf unsere DNA und Schärfung unseres Selbstverständnisses sind angezeigt. Unabhängigkeit, Wahrhaftigkeit, Objektivität, - das ist unsere DNA.
Klare Abgrenzung von Allem, was Demokratie und Grundrechte in Frage stellt, ja - aber eben keine Verengung auf einen politisch korrekten „Gesinnungskorridor“ , der die legitime Breite der Sichtweisen und Ideen verengt. Stattdessen: - Offenheit und Neugier - auch jenseits des Mainstreams! - -
Als Sortier-Instanz müssen wir Medien die Basis bieten, für konstruktives Ringen, um den richtigen Weg.
Denn die offene Gesellschaft – sie muss – angesichts der Umbrüche - im globalen Wettstreit mit nationalistischen und totalitären Tendenzen und Systemen ihre überlegene Lösungskompetenz behaupten.
Dazu müssen wir das Empfinden mit dem Verstehen zusammenbringen, Gefühle mit der Vernunft versöhnen. Dann kann gelingen, was Willy Brandt einst vermächtnishaft so angemahnt hat: - "Besinnt euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll."
Und wenn uns das gelingt, dann können die zwanziger Jahre dieses Mal sogar wirklich goldene werden.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Trauerrede Jan Fedder, Michel Hamburg, 14.1.2020, Volker Herres
Liebe Marion Fedder, liebe Familie, Freunde und Kollegen von Jan,
über Jan Fedder war dieser Tage viel Würdigendes zu hören und zu lesen. Er sei ein waschechter Hamburger Jung. Ja, mehr noch „echter St. Paulianer“. Wie Fedders Alter Ego, Dirk Matthies, im „Großstadtrevier“ einmal gesagt hat: „'ne ganz besonders edle Rasse!“ - Ein Mensch aus dem Volk, bodenständig, frech und auf Konventionen pfeifend. Einer, der sich nicht verbiegen lässt und sagt, was er denkt. Egal, wie fett andere sind. Jan war Fedder.
Das alles ist richtig und zutreffend, aber dennoch, denke ich: Ist es auch hinreichend?
Klar, - Jan ist Norden, ist Hamburg und der Kiez. Und aus eben dieser, seiner Verwurzelung heraus, konnte Jan seine Figuren so gefühlsstark spielen. So gewann er eine Fangemeinde im Norden, aber eben auch südlich der Elbe in ganz Deutschland und brachte es sogar bis zum Ehrenkommissar in Bayern.
Jan war eigen. Seine Authentizität, seine Glaubwürdigkeit, - dass ist das Geheimnis seiner überragenden Beliebtheit. Er wusste, was das Publikum von ihm erwartet. Und er wollte den Erfolg, - oder wie er formulierte: „Ich muss schon Nummer eins sein, sonst is‘ Scheiße.“
Was er war und ist, hat er selbst so formuliert: der letzte Volksschauspieler!
Keiner hat das Sankt-Pauli-Lebensgefühl so verkörpert wie Jan Fedder. Aber in Wirklichkeit ist ja auch Sankt Pauli komplizierter, vielfältiger und widersprüchlicher. So wie es vermutlich in Wahrheit auch Jan war, jenseits des bühnenreif-geschlossenen Bildes.
Denn er konnte sich ja auch verwandeln und andere Seiten von sich zum Ausdruck bringen. Mit derselben Kraft, mit der Jan seine Kultrollen, den Stefan Book, Hafenpastor der St. Pauli-Kirche, spielte, den Kurt Brakelmann in „Büttenwarder“ und den Dirk Matthies in seinem „Großstadtrevier“ – mit derselben Kraft und Wucht stellte er ganz andere Figuren dar. Etwa in den LenzVerfilmungen: • den alternden Taucher Jan Hinrichs in „Der Mann im Strom“. • Oder den markig-mutigen Kapitän Johann Freytag in „Das Feuerschiff“, und viele mehr.
All diese Rollen spielte er – ruhig und sensibel - aus dem Bauch heraus. Wer Figuren so spielen konnte, Figuren, die vom Schicksal hin und her gerissen werden, die existenzielle Brüche durchleben, der muss auch selbst so empfunden haben. So spielt nur einer, der im eigenen Leben kennt, was er da verkörpert. Bei all diesen Figuren aus literarischen Vorlagen, die Jan Fedder zum Leben erweckt hat, geht es darum, angesichts der Widrigkeiten des Lebens, den eigenen Kompass zu halten, ihn nach zu justieren – oder doch wenigstens zu suchen. So wie bei Jan im Leben wohl auch.
„Wer man ist, und wer man zu sein scheint. Ein großes Thema?“, wurde Jan einmal gefragt. – Die Antwort war nordisch-karg, aber eindeutig: - „Jau“ hat er geantwortet.
Ich erinnere mich an einen Setbesuch beim „Großstadtrevier“. Gedreht wird auf einem Elbdampfer. Nach dem Dreh sitze ich mit ihm allein am Fenster. Fedder bittet den Kapitän abzulegen und die Elbe auf und ab zufahren. Beeindruckende Kulisse bei strahlend blauem, wolkenlosem Himmel, - also so typisch Hamburg. – Wir reden darüber wie’s ihm geht – besser, aber nicht wirklich gut. – Hat er ein Anliegen? – Ja, sogar zwei: - „Guck‘ mal da raus. Du musst zurück von München nach Hamburg kommen. Volker, da gehörst du hin.“ – Und - zweites Anliegen: „Du musst mich und das ‚Großstadtrevier‘ beschützen. Das muss weiter gehen. Ist das klar?"
Er wirkte nachdenklicher, angezählt. - In den letzten Jahren wurde es leiser um ihn. Denn der Stehauf-Mensch Fedder musste manchen linken Haken des Schicksals wegstecken. Das machte er meist mit sich selbst aus. Er zog sich zurück in die Stille. So wie der von ihm in der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Tim Parks so grandios verkörperte Erfolgsmensch Harold Cleaver. Jans Rückzugsgebiet war seine Wohnung im Kiez.
Am 14. Januar ist er geboren. Im 14. Revier hat er für Recht und Ordnung gesorgt. 14 Mal hat er – so offen war Jan auch in seinem letzten Fernsehinterview – ans Tor da oben geklopft. Aber der liebe Gott habe ihm gesagt, er wolle ihn noch nicht. Heute, am 14. Januar, seinem 65. Geburtstag, sitzt er bestimmt auf Wolke 14 und schaut auf uns herab, ob wir auch ja alles richtig machen, so wie er es sich gewünscht hat. Der Himmel, der hat jetzt einen Schutzmann.
Und wir Zurückgebliebenen hier unten haben die Stille, den Verlust und den Schmerz.
Der Siggi, wie Jan ihn nannte, der Lenz, der hat einst ein Büchlein, einen Essay geschrieben „Über den Schmerz“. Darin heißt es, im Schmerz – ich zitiere - „erkennen (wir), dass, wenn die Totenglocke für einen läutet, sie es gleichzeitig auch für jeden von uns tut. Dem Schmerz verdanken wir (die) Erkenntnis, dass wir nicht allein sind.“
Jan, du bist nicht allein. Du lebst weiter in unseren Herzen. Versprochen! - Tschüß, mein Freund!
Begrüßung zum ARD-Adventsessen 2019
Verehrte Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen, schön, dass Sie alle schon so ins Gespräch vertieft sind. Trotzdem möchte ich Sie einen kurzen Moment um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Was Sie da gerade sehen und hören konnten, das war ein Ausschnitt unseres neuen Trailers. „Was ist deine Geschichte? Erzähl mir von Dir“. Er ist seit dem 1. Advent ARD-weit im Einsatz (also nicht nur im Ersten, sondern auch in den Dritten, im Radio und Online). Der Spot soll unser Zusammengehörigkeitsgefühl, unser Miteinander zum Ausdruck bringen. Etwas, finde ich, was unsere Gesellschaft so dringend braucht. Mehr „Wir“, mehr positive Emotion, mehr Zuhören. - - Also ungefähr so, wie beim jährlichen Adventsessen, zu dem ich Sie alle herzlich willkommen heiße. Schön, dass Sie dabei sind! Spaltung und Disruption scheinen unsere Welt immer mehr zu beherrschen. Dem etwas entgegen zu setzen, für eine freie, selbstbestimmte Gesellschaft zu streiten, das ist eine zentrale Aufgabe der Medien. Insbesondere von uns Öffentlich-rechtlichen. Wir im Ersten nehmen diese Verpflichtung immer wieder auf’s Neue gern und mit Leidenschaft an. Und das tun wir dank Ihrer Hilfe. Dank Ihrer Kreativität. Dank Ihres Einsatzes für gutes, nein für exzellentes, Fernsehen. Über alle Genres hinweg, bei ganz unterschiedlichen Aufgaben und Herausforderungen. Neben Information und Unterhaltung ist es insbesondere das fiktionale Erzählen von Geschichten, das den Zauber des Fernsehens ausmacht, - schönen, zu Herzen gehenden, unterhaltsamen, aber auch relevanten Geschichten. Und die verdanken wir Ihnen, den vielen, wunderbaren, charismatischen Schauspielern, die ich heute Abend hier schon begrüßen durfte. Und den Produzenten und Kreativen, den Fernsehfilmredaktionen der Degeto und in den Landesrundfunkanstalten. Offenbar wurden die schönsten Geschichten im Ersten erzählt. Denn die Zuschauer haben es honoriert und Das Erste in diesem Jahr wieder zum Marktführer in der wichtigsten, in der Hauptabendzeit, gemacht - mit einem Marktanteil von 14,3 Prozent. Es ist nicht möglich, all die Produktionen zu nennen, die dieses schöne Ergebnis – urdemokratisch durch Publikumsentscheid – ermöglicht haben. Ungerecht wie es nun einmal ist, erlauben Sie mir bitte dennoch, wenigstens einzelne Titel aus der Fülle der Stoffe herauszugreifen: „Lotte am Bauhaus“ gleich zu Beginn des Jahres beispielsweise, die zweite Staffel von „Charité“ – die Dritte hatte übrigens gerade Drehstart - , der Thriller zum Mauerfall, „Wendezeit“. Und natürlich das Sommer-Highlight, die fünfte Eberhofer-Verfilmung, „Sauerkrautkoma“. Zu meiner großen Freude ist mit Sebastian Bezzel, Simon Schwarz und Lisa Maria Potthoff heute Abend der gesamte Hauptcast hier vertreten. Wiederholungstäter beim Adventsessen übrigens, die drei. Danke, dass Sie dem „Ernsten“ immer wieder das Lachen beibringen! Wenig zu lachen, aber dafür gut zu tun hatten 2019 ARD-Chefredakteur Rainald Becker und die politischen Journalisten des Ersten. Dafür sorgten Greta, Trump, Johnson und der Brexit, die Europawahl, vier Landtagswahlen mit Neuvermessungen des Parteienspektrums hierzulande - und eine SPD-Duo-Vorsitzenden-Kür, die heute am Nikolaustag ihren Höhepunkt erreicht hat. Wenn man es denn so nennen mag. Finale passt vielleicht besser. Ebenfalls viel zu tun, aber hoffentlich auch zu lachen, hatte Thomas Schreiber, der die Unterhaltungsformate des Ersten koordiniert. – Und das mit großem Erfolg. Dafür dir lieber Thomas, und deinen Kolleginnen und Kollegen ein großes Dankeschön! – Denn der Erfolg ist ungebrochen. Wir können Unterhaltung! - Ob die Quiz-Formate im Vorabend - oder ihre XXL-Geschwister zur besten Sendezeit. Gerade lief die 500. Ausgabe von „Wer weiß denn sowas?“, hallo Elton, guten Abend Kai! - Ob Comedy oder die ganz große Unterhaltungsshow am Samstagabend, unsere Formate und Protagonisten sind die wahren Publikumsmagnete. Stichwort für Florian Silbereisen. In der ersten Liga spielt er ohnehin. In der Bestenliga des Ersten weiterhin auch. Ich freue mich dass er hier ist – und trotz seiner neuen Liebe zur Kreuzfahrt - dem Ersten treu bleibt. Liebe, hochgeschätzte und verehrte Gäste: - Im Namen des Ersten möchte ich mich bei Ihnen allen mit diesem Abend bedanken. Bei Schauspielern, Moderatoren, Protagonisten, bei den Kreativen aus den Produktionen, bei den Programmverantwortlichen und, natürlich auch, bei der Presse, die uns nicht immer – das ist auch nicht ihr Job -, aber doch auch immer wieder, ganz gut und kritisch begleitet hat. Wir können mit unseren Programmen einen ganz wesentlichen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft leisten, zum Dialog, zur Toleranz und zum gegenseitigen Verständnis. Eine freie und offene Gesellschaft braucht diesen Kitt, der sie zusammenhält. Ob Unterhaltung oder Sport, Information oder Fiktion: Sie alle hier tragen genau dazu bei. „Behalten wir’s im Auge, das die Welt was tauge“, hat der in diesem Jahr verstorbene Dichter Wiglaf Droste geschrieben – und weiter: „dass aus der schönen, alten Erde, - wo möglich einmal eine werde.“ Ich danke Ihnen für Ihre Treue zum Ersten und wünsche Ihnen allen eine besinnliche Advents- und Weihnachtszeit. Kommen Sie fröhlich ins neue Jahr, das für Sie ein wirklich gutes werden möge. Und damit darf ich Sie zu Tisch bitten. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Begrüßung zur Jahrespressekonferenz der ARD am 3.12.2019 in Hamburg
Liebe Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlich willkommen. Schön, dass Sie heute dabei sind. Schön, dass wir Ihnen das Programm des Ersten im kommenden Jahr vorstellen dürfen – oder doch wenigstens dessen Programmhöhepunkte. Sonst würde es zu lange dauern. Wir wollen es heute bei unserer Jahrespressekonferenz etwas anders machen, als Sie es gewohnt sind - aus den letzten Jahren. Wir wollen Ihnen ausgewählte Beispiele aus allen Genres vorstellen, die pars pro toto stehen - für das, was die Philosophie des Ersten ausmacht: nämlich ein vielfältiges, attraktives und relevantes Gesamtangebot zu komponieren. Und weil das Wichtigste in einem solchen Programm immer die Protagonisten sind, haben wir einige eingeladen – aus ganz unterschiedlichen Genres. Mein herzlicher Dank für Ihr Kommen! Danke, dass Sie sich heute die Zeit nehmen, um persönlich die große Bandbreite des Ersten zu repräsentieren. Durch diese Pressekonferenz führen sie zwei prominente Gesichter des Ersten. Vielen Dank, liebe Jessy Wellmer, lieber Ingo Zamperoni, dafür schon jetzt. Als Vollprogramm haben wir den Ehrgeiz wie die Pflicht, Programm für alle, für möglichst viele – auch heterogene - Interessen und Bedürfnisse anzubieten. Dafür arbeiten in den neun Landesrundfunkanstalten der ARD und ihren Gemeinschaftseinrichtungen viele Menschen, engagiert, kompetent und mit Leidenschaft. Stellvertretend für diese Kolleginnen und Kollegen werden heute unsere jeweiligen Programmkoordinatoren über programmliche Höhepunkte aus ihrem Genre sprechen. Mir ist wichtig, dass es uns immer wieder gelingt, relevante Themen und Fragen in den Blickpunkt zu rücken und gesellschaftliche Debatten auszulösen. Und es gelingt – im Fiktionalen, wie im Journalistischen. Denken Sie etwa an die umfangreichen Recherchen der Kollegen des Bayerischen Rundfunks und des „Handelsblattes“, die Neues über die Abgasmanipulationen bei Audi zu Tage beförderten, sowie auch die Nachlässigkeiten des Kraftfahrtbundesamtes. Und bei aller Sportbegeisterung gehen wir – nicht zuletzt dank Hajo Seppelt – immer auch den dunklen Seiten des Sports nach. Investigativer Journalismus – er ist heute wichtiger denn je: Gerade in Zeiten, in denen jeder sich selbst ungefiltert - und auch jeden Mist - verbreiten kann, brauchen wir nicht weniger, sondern mehr professionellen Journalismus. Denn wir haben dafür zu sorgen und sind dafür verantwortlich, dass relevante, wichtige Themen aufgegriffen und die richtigen Fragen gestellt werden, gerade auch die unbequemen. - „Journalism is printing what someone else doesn’t want printed. Everything else - is public relations“, hat – lang ist’s her - George Orwell einst gesagt. Dürfen wir aber gerade heute nie vergessen. Und deswegen sind etwa die Recherche-Pools in der ARD, in enger Kooperation mit großen deutschen Tageszeitungen, so wichtig. Oder auch die Rubrik „#faktenfinder“ auf Tageschau.de. Informationssendungen haben auch 2019 mit 44 Prozent den größten Anteil am Programm des Ersten. Vor knapp zwei Wochen veröffentlichte der WDR eine von ihm beauftragte Studie des Forschungs-Instituts Infratest-dimap. Sie ergab: - 74 Prozent der Befragten halten das öffentlich-rechtliche Fernsehen für glaubwürdig. 82 Prozent den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für unverzichtbar. Und 81 Prozent konstatieren, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung in Deutschland leistet. - Dass dies so bleiben möge, - dafür arbeiten wir - Tag für Tag. Dass Sie Qualitätsfernsehen im Ersten finden, das belegen die unzähligen Preise und Auszeichnungen, die wir Jahr für Jahr ernten. Allein beim renommierten Grimme-Preise gingen in diesem Jahr – 12 von 17 Auszeichnungen an die ARD. Und dabei sticht die Genre-Vielfalt hervor, für die wir ausgezeichnet wurden: Sowohl in der Information mit sechs Preisen, als auch in der Fiktion, im Bereich Kinder- und Jugendprogramm und in der Unterhaltung. Ja, Das Erste kann auch Unterhaltung. Ist marktführend. Und eine, die dafür ausgezeichnet wurde – mit einem international renommierten Preis, hat – als sie die Nachricht erhielt - laut „Yippiiie!“ gerufen. Und ich freue mich, dass sie heute hier ist. Und mehr dazu gibt’s später… Wir freuen uns über solche Auszeichnungen ebenso wie über anerkennende Rezensionen von Ihnen. Und wenn dann noch die Akzeptanz beim Publikum stimmt, - dann läuft’s! Und die – die Zuschauerakzeptanz- die ist in diesem Jahr gestiegen: Am Hauptabend wird das Gemeinschaftsprogramm – das erste Mal seit drei Jahren – wieder Marktführer, mit voraussichtlich 14,3 Prozent (das ZDF liegt derzeit bei 13,9 Prozent). Das ist unserem fiktionalen Programm am Donnerstag, Freitag und Sonntag ebenso zu verdanken, wie den populären Unterhaltungsshows am Samstagabend und dem Vorabendprogramm, das erneut zugelegt hat. Wir liefern für die Debattenkultur nicht nur mit unseren politischen Magazinen, Dokumentationen und Reportagen einen Beitrag, sondern ganz maßgeblich auch mit relevanten Filmen und Serien. Denn gerade das Fiktionale hat die emotionale Kraft, die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen, auch für schwierige, manchmal sperrige Themen. Und so versuchen wir mit der Fiktion und in Verbindung mit vertiefenden Dokumentationen oder Gesprächssendungen besondere Akzente zu setzen. Solche Themenabende, auch ganze Themenwochen, haben deshalb eine lange und erfolgreiche Tradition im Ersten. Daran werden wir weiter festhalten. Lineares Fernsehen spielt – allen Unkenruf zum Trotz – immer noch eine dominante Rolle. Aber wir müssen genauso fit sein für die digitale Welt, für die zeitsouveräne Nutzung. Und deshalb gilt es hier präsenter zu werden und gezielte Angebote zu machen, um insbesondere auch jüngeres Publikum an uns zu binden und für das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu gewinnen. So werden künftig mehr und mehr Sendungen vorab abrufbar sein: Das betrifft unter anderem ganz konkret den Donnerstags-Krimi und die Filme aus der Reihe „Endlich Freitag“. Ferner, - auch davon wird später noch ausführlicher die Rede sein - , werden wir eigene Serien für die non-lineare Ausstrahlung produzieren. Jedenfalls sind fiktionale Angebote der wichtigste Grund, die Mediathek aufzusuchen: 80 Prozent der Nutzungszeit dort entfallen nämlich auf Filme und Serien. Sie haben es ja dieser Tage gehört: Die Programmdirektion des Ersten wird künftig auch die gemeinschaftliche ARD-Mediathek mitgestalten. Und dafür habe wir uns eine Menge vorgenommen. Denn unseren Auftrag müssen wir linear wie non-linear erfüllen. Die offene Gesellschaft braucht gerade jetzt Medien, die eine zunehmende Segmentierung und Spaltung der Gesellschaft überbrücken. Das haben wir verstanden. Mehr dazu in den nächsten 90 Minuten – bei unserer Pressekonferenz - in Spielfilmlänge.
Begrüßung zum Hauptstadtreff der ARD am 7. November 2019 in Berlin
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
in diesem Jahr darf ich Sie heute hier auch im Namen meiner beiden Mit-Gastgeberinnen begrüßen, im Namen von Patricia Schlesinger, der Intendantin des rbb und im Namen von Tina Hassel, der Chefredakteurin unseres Hauptstadtstudios.
Wir freuen uns, dass Sie so zahlreich und prominent unserer Einladung gefolgt sind, denn, so meine Überzeugung, in Zeiten, wie diesen ist der Austausch, das Gespräch zwischen Politik und Medien wichtiger denn je. Ich gehöre wahrlich nicht zu jenen, die der Verwischung der Rollen das Wort reden oder gar zur Verbrüderung neigen. Nein, die Trennlinien müssen ganz klar bleiben: Die einen haben Politik zu gestalten, die anderen haben unabhängige Beobachter zu sein, erklärend, kritisch und auch kommentierend.
Aber: Es gibt eine gemeinsame Verantwortung, nämlich die richtigen, die wichtigen Themen aufzugreifen, Fragen zu stellen und Lösungsmöglichkeiten kompetent zu wägen. Gesellschaftliche Interessen und Konflikte klar zu benennen. Aussprechen, was ist. Politische Differenzen thematisieren, ohne dass gleich die Moralkeule geschwungen oder das Gegenüber diffamiert wird. Aber auch ohne gesinnungshygienisch bereinigte Spreche als Wirklichkeitsfilter.
Das ist leider keine Binse mehr angesichts des inzwischen umfangreich beschriebenen digitalen Strukturwandels der Öffentlichkeit und angesichts der Beschleunigung der Herausforderungen einer globalen Welt, in der alte Ordnungen einbrechen, ohne das neue hinreichend existieren, in einer Welt der politischen Neuvermessung – nicht nur des eigenen Parteiensystems.
Wir alle spüren doch, wie lange Zeit sicher geglaubte Gewissheiten ins Wanken geraten: Epochaler ökonomischer und technologischer Wandel. Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Globalisierung, Handelskriege, Klimawandel, Migration, - ein Amerika, das auf den Multilateralismus pfeift, Russland auf imperialem Retro-Kurs. China totalitär geführt, kühl kalkulierend auf dem Weg zur Weltmacht. Und ein sich in Renationalisierungs-Tendenzen verzwergendes Europa. Nicht weniger steht auf der Agenda als die Frage nach der Funktionsstärke und Effizienz offener Gesellschaften und der Zukunft der Demokratie.
Die steht und fällt mit ihrer Debatten-Kultur. Und der darf die Fähigkeit nicht entgleiten, zwischen dem Relevanten und dem Nebensächlichem zu unterscheiden, die Hierarchie von Bedeutungen zu erfassen. Denn das Agenda-Setting auch klassischer Medien bleibt ja nicht unbeeindruckt von der Logik des Netzes, wo datenökonomisch getrieben, Aufmerksamkeit immer die Zuspitzung und Emotionalisierung erfährt gegenüber der Sachlichkeit und der Differenzierung.
Werden politische Diskussionen so manipulationsanfälliger, kurzatmiger, polemischer? - Bewegen sie sich zunehmend zwischen Mainstream und Skandalisierung, mit einer permanenten Neigung zu überstürzten moralischen Bewertungen, ohne genaue Kenntnis, aber mit umso festerer Gesinnung? - Wozu noch Ahnung und Neugier, wenn man doch eine fixe Haltung hat?
Mit Emotionen, Ängsten und falschen Zahlen aber lässt sich Vernunft nun einmal ruinieren. Zumal im Netz zuweilen gilt: Dumm klickt gut.
Diesem kommunikativen Circulus vitiosus dürfen weder Medien noch Politik auf den Leim gehen. Politik als Beruf basiert auf Verantwortung. Und Journalismus bleibt eine Profession, - auch in Zeiten, in denen jeder sich und auch jeden Mist ungefiltert verbreiten kann.
Wenn wir populistischen Vereinfachern und Verführern mit den scheinbar so leichten Rezepten das Terrain streitig machen wollen, dann müssen die offene Gesellschaft und ihre Freunde festhalten an der kontroversen, aber sachorientierten Auseinandersetzung mit den relevanten und komplexen Herausforderungen unserer Zeit, - wider die Einfachheit und wider die Erregung, - und mit Wahrhaftigkeit und professioneller Komplexitätsreduktion.
Ich gehöre zu einer Generation, die historisch geprägt ist durch Erfahrungen wie diese: Schilderungen von Eltern und Großeltern über die Zeit des Krieges, die man als Kind hörte, die intensive Auseinandersetzung mit dem Holocaust und der deutschen Schuld als Jugendlicher, der scheinbaren Selbstverständlichkeit der deutschen Teilung und des Eisernen Vorhangs, von dessen Überwindung man träumte, wissend, dass es lange Zeit so gar nicht danach aussah. Heute - 30 Jahre nach dem Fall der Mauer - ist - was damals Traum war - Wirklichkeit - allen verbleibenden Mühen, Verwerfungen und Anstrengungen zum Trotz.
Vor dem Hintergrund unserer historischen Erfahrung ist manches schwer erträglich: nationalistische Abkehr von Europa, Fremdenphobie, mangelnde Abgrenzung zum Rechtsextremismus, Demokratieverachtung oder gar offener Antisemitismus – ausgerechnet hierzulande.
Menschen können aus der Geschichte lernen, aber haben solche Lektionen auch über Generationen hinweg Bestand? - Unter Historikern ist die Antwort strittig.
Umso mehr bleibt es unsere Aufgabe, bei allen Rollenunterschieden, die Aufgabe von Medien und Politik, der Geschichtsvergessenheit ebenso entgegenzutreten, wie die Zukunftsfragen beherzt zu stellen und um die angemessenen Lösungen zu streiten und zu ringen und auch die Chancen herauszufinden und herauszustellen. Denn die Fokussierung auf Risiken und das Schüren von Ängsten sind der Nährboden des Populismus. Offene Gesellschaften indes nutzen Chancen und kennen ihre Vitalität.
Ohne eine funktionierende, die Segmentierung und Spaltung der Gesellschaft übergreifende, Öffentlichkeit aber, kommt keine Demokratie zurecht. Glauben Sie mir, wir in der ARD wissen um unsere Aufgabe. Wir haben verstanden. Wir machen gewiss nicht immer alles richtig. Aber wir haben einen Auftrag, den wir zu erfüllen gedenken.
Sehen Sie mir bitte die Ernsthaftigkeit meiner heutigen Begrüßung nach. Mir war danach. Denn ich fürchte, man kann das Glück dieser Republik - in dem wir ja laut unserer Hymne blühen sollen - auch leichtfertig verspielen. Sehen wir ja andernorts.
Und deshalb, denke ich, gibt es viel zu besprechen zwischen Politik und Medien. Nutzen Sie also hier und jetzt die Gelegenheit.
Wir verdanken diese Gelegenheit übrigens auch den Sponsoren, ohne die ein solcher Abend nicht zustande kommen könnte. In alphabetischer Reihenfolge – aber nach elf Jahren Partnerschaft auch sonst ganz vorne mit dabei -, die Aareal Bank AG; zum zweiten Mal Grund zu danken haben wir der Continental AG sowie der EWE AG. Und als Newcomer bei den Unterstützern des Hauptstadtreff darf ich zuletzt noch der EDU [deutsch ausgesprochen] – genauer die EDU [englische Aussprache] _– _ dem „Medical International Institute of Higher Education – College of Medicine“, und der Metro AG danken. Ihnen allen Dank für die Unterstützung.
Und jetzt wünsche ich Ihnen gute Gespräche und einen angenehmen Abend. Danke, dass Sie heute unsere Gäste sind. - Ende -
Haltung und Verantwortung im Journalismus. Keynote Münchner Medientage am 24.10.2019
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Donald Trump ist ein Präsident der besonderen Art. Mit der Zuverlässigkeit einer perfekten PR-Maschine liefert er regelmäßig Aufreger und Unkorrektheiten, die seine Wähler begeistern und mobilisieren sollen. Der medial absehbare Protest ist dabei stets eingepreist, als wirkungsverstärkender Nachschlag. – Darf ein Journalist deutlich zeigen, was er davon hält? – Wie er Trump beurteilt? – Oder gar ablehnt?
Oder – anderes Beispiel – die ja gezielten Provokationen der AfD – von Höckes „Mahnmal der Schande“ bis zu Gaulands „Vogelschiss“ - Relativierung des Nationalsozialismus. - Wie damit umgehen? – Wie überhaupt umgehen mit einer Partei, der es offenkundig nur darum geht, ihr Thema „Deutschtum und Überfremdung“ populistisch ins Rampenlicht zu rücken und so die politischen Koordinaten der Republik zu verschieben.
Wie andererseits umgehen mit der inzwischen teils messianistisch verehrten Greta Thunberg und dem Juste Milieu der Klimaaktivisten. – Darf der Journalist Sympathien zeigen, gar Partei ergreifen, wenn es schließlich darum geht, die Welt zu retten? – Wenigstens ein bisschen? – Wird er andrerseits zum Ketzer, wenn er am Lack der Aktivisten-Bewegung kratzt? - Stehen der sachlichen Darstellung und Analyse von Tatsachen und Zusammenhängen nicht nur Rechtspopulismus und Fake-News im Wege, sondern auf der anderen Seite auch moralisch hyperventilierender Rigorismus und eine gesinnungshygienisch bereinigte Spreche als Wirklichkeitsfilter?
Was haben #TheRealDonald, Greta und die AfD mit dem Thema unseres heutigen Panels zu tun? - Alles, wie ich meine. Ergibt sich für Natalie Amiri und ihre Gäste daraus doch die grundsätzliche Frage: „Wie halten wir es mit der Haltung? Journalismus und Verantwortung“. Verantwortung, die übernimmt man nicht erst, die hat man automatisch. Zumal als Journalist in den Massenmedien.
Diese Verantwortung wahrzunehmen ist allerdings heikler geworden. Denn wir sind nicht mehr die alleinigen Gatekeeper, die Schleusenwärter des öffentlichen Disputs. Heute sendet jede und jeder und trägt zur allgemeinen Agenda bei. Und die Themensetzungen und Debatten auch klassischer Medien bleiben dabei nicht unbeeindruckt von der Logik des Netzes, wo datenökonomisch getrieben, Aufmerksamkeit immer die Zuspitzung und Emotionalisierung erfährt gegenüber der Sachlichkeit und der Differenzierung. Werden politische Diskussionen so manipulationsanfälliger, kurzatmiger, polemischer? - Bewegen sie sich zunehmend zwischen Mainstream und Skandalisierung, mit einer permanenten Neigung zu überstürzten moralischen Bewertungen, ohne genaue Kenntnis, aber mit umso festerer Gesinnung? - Wozu noch Ahnung und Neugier, wenn man doch eine fixe Haltung hat? – Tritt diese Attitüde mehr und mehr an die Stelle unbefangener Betrachtung der Realitäten?
Zurück zur AfD. – Was tun? - Die „tageszeitung“, die taz, hat dieser Tage die beklemmend nachvollziehbare These gewagt, dass die AfD immer gewinnt, weil man entweder zu wenig kritisch fragt und damit unfreiwillig eine Plattform bietet. Oder zu kritisch ist, was dann als Steilvorlage genutzt wird, um aus der vermeintlichen Opferrolle heraus die Medien als ferngesteuerte „Systempresse“ zu diffamieren. Die taz zieht daraus die Schlußfolgerung, Zitat: „Ein Interview kann nicht mehr ‚entzaubern‘ und nicht mehr aufklären“ , Zitatende. Ich mag dieses resignative Fazit nicht teilen.
Wo die AfD medial auftritt, nutzt sie die Gelegenheit, Unsägliches salonfähig zu machen. – Aber dürfen wir ihr deshalb den Auftritt versagen? - Eine im Bundestag und in den Landesparlamenten vertretene Partei knapper halten als andere? – Oder beherzt und distanziert dagegen halten, auch mit dem Risiko, damit eine kontraproduktive Wirkung zu erzielen? – Die es sich in ihrer eigenen, seltsamen Wahrnehmung der Welt gemütlich gemacht haben, der harte Kern der AfD, sind sie wirklich nicht mehr zu erreichen, zu überzeugen? – Oder heißt die Lösung, die AfD da wie eine normale Partei zu behandeln, wo sie so auftritt, und da nicht, wo sie unsere politische Kultur sprengt? – Und müssen wir sie nicht viel stärker jenseits ihres völkischen Gelabers mit jenen Zukunftsthemen konfrontieren, die sie nur zu gern – mangels Antworten nämlich – umschifft?
Zurück zu Greta: „Ohne visionären Eifer“, schrieb dieser Tage die „Süddeutsche Zeitung“, „gibt es keine Bewegung. Die Vorstellung, dass Rationalität allein zur Veränderung führt, ist irrational.“ - Ja, aber nimmt bei aller Ernsthaftigkeit der Bedrohung, die Klimabewegung in Teilen nicht auch Züge eines säkular-religiösen Kreuzzuges an? - Lässt sie Differenzierung noch zu? - Muss man nicht auch etwa den grünen Öko-Hedonismus hinterfragen? - Szenen erinnere ich – auch in unseren Sendungen – wo die Berichterstattung sich entfernt vom fast zu Tode zitierten, aber immer noch richtigen Credo eines Hanns Joachim Friedrichs, dass man nämlich „einen guten Journalisten daran erkennt, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache.“
Mein Ideal ist das unverändert und ich hoffe, wir schaffen es immer wieder, dem auch gerecht zu werden. So gut es eben geht. Haltungsnoten sollten wir keine vergeben. Aber bei reflexhafter Empörung, vor der ja keiner gefeit ist, sollten wir versuchen, mit Augenmaß zu handeln. – Wie viel Verstärkung braucht ein Aufreger, wie viel davon verträgt eine Gesellschaft? – Lassen Sie uns einfach alle etwas weniger Trump wagen.
Ich habe auch eine Alternative – und die hat die Schriftstellerin Jagoda Marinić formuliert: „Die mediale Aufmerksamkeit darf sich nicht auf die Erregungsschleifen über twittertaugliche Thesen richten, sondern muss sich dem Kampf um Ideen widmen, die großen Fragen unserer Zeit angehen.“ – Ja, so ist es: Wenn wir populistischen Vereinfachern und den Verführern mit ihren scheinbar so leichten Rezepten das Terrain streitig machen wollen, dann müssen die offene Gesellschaft und ihre Freunde fest halten an der kontroversen, aber sachorientierten Auseinandersetzung mit den relevanten und komplexen Herausforderungen unserer Zeit, - wider die Einfachheit und die Erregung, - und mit professioneller Komplexitätsreduktion und Orientierungshilfe durch Wahrhaftigkeit. So geht nachhaltige, demokratische Kommunikation unter veränderten digitalen Bedingungen. Politische Differenzen müssen ausgetragen werden können, ohne dass gleich die Moralkeule geschwungen und das Gegenüber diffamiert wird.
Die Relevanz muss wieder stärker ins Zentrum des gesellschaftlichen Dialogs gerückt werden. Themen haben wir reichlich. Natürlich gehört die Lage des Planeten dazu, ebenso die Folgen weiterer Digitalisierung und künstlicher Intelligenz, die Sicherheit einer globalen Welt u.v.m. Es ist unsere Aufgabe, Zukunftsfragen zu stellen, um die angemessenen Lösungen zu ringen und auch die Chancen herauszuarbeiten. Denn die Fokussierung auf Risiken und das Schüren von Ängsten sind der Nährboden des Populismus. Offene Gesellschaften nutzen Chancen und kennen ihre Vitalität.
Unsere Verantwortung ist es, diesen Dialog zu suchen und immer wieder zu führen. Gerade auch dann, wenn, und dort, wo es weh tut. Eunuchenhafte Neutralität wird es dabei nicht geben – aber sachliche Nüchternheit, Wahrheitsliebe und Distanz, die brauchen wir. Haben wir in den Medien heute Haltungsprobleme? - Diese Frage müssen wir uns gefallen lassen und uns selber stellen. Friedrich Küppersbusch hat das vor kurzem in eine griffig formulierte These gepackt. Zitat, „Den gesellschaftlichen Zusammenhalt sichern – macht ihr mal, wir gucken zu und berichten.“ Darauf folgt als Antithese: „Wer berichtet , … als sei er selbst gar nicht da, – belügt sein Publikum.“ Zwei Sätze, die man mal kurz sacken lassen muss.
Mich hat es erinnert an die lange Zeit zurückliegende Lektüre von Max Webers Aufsatz „Politik als Beruf“. Darin hat er vor hundert Jahren den Begriff der Verantwortungsethik eingeführt, die die Verantwortbarkeit von Handlungen in den Vordergrund stellt. Als Gegenbegriff nennt er die Gesinnungsethik, bei der das Handeln immer im Rahmen ethischer Werte beurteilt wird. Aufgabe politisch Handelnder sei es, so Weber, die Balance zwischen Verantwortungs- und Gesinnungsethik zu finden. – Journalismus als Beruf könnte sich ja vielleicht heute einmal darauf besinnen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! - Ende -
Medienempfang von BR und DasErste am 20. Februar 2019
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Staatsminister Dr. Herrmann, verehrter Vorsitzender des BR-Rundfunkrats Herr Dr. Wolf und sehr geehrter stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsbeirats des BR, lieber Herr Dr. Klinger, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Ich freue mich sehr, Sie gemeinsam mit Ulrich Wilhelm wieder zum Medienempfang von BR und Das Erste begrüßen zu dürfen. Schön, dass Sie unserer Einladung so zahlreich gefolgt sind. Wir suchen nämlich den Dialog mit Ihnen, weil unsere Gesellschaft vor großen Herausforderungen steht. Ja, Vieles klappt hierzulande – das muss immer wieder betont werden – aber, ich denke, das spürten wir allle, lange Zeit sicher geglaubte Gewissheiten geraten ins Wanken.
Epochaler ökonomischer, technologischer und politischer Wandel. Digitalisierung, Globalisierung, Handelskriege, Klimawandel, Migration, Fremdenfeindlichkeit, ja selbst wieder offener Antisemitismus ausgerechnet bei uns. Ein Amerika, das sich vom Multilateralismus zurückzieht. Putins Russland auf imperialen Retro-Kurs. China kühl kalkulierend auf dem Weg zur Weltmacht. Neuer Hyperwaffen-Rüstungswettlauf – wir hatten ja am Wochenende gerade die Sicherheitskonferenz in der Stadt - Populismus und Renationalisierungs-Tendenzen in einem sich verzwergendem Europa, - das alles muss uns nicht in Panik versetzen. Hellwach aber sollten wir schon sein – beim Rendezvous mit der Wirklichkeit. Denn nichts von dem, was dieses Land so lebenswert macht, ist für ewig garantiert, wenn wir es nicht verteidigen, wenn wir uns nicht engagieren für eine offene Gesellschaft - und gegen ihre Feinde.
In Zeiten wie diesen, können wir uns eine dysfunktionale Öffentlichkeit nicht leisten. Oder, wie Sie es, lieber Ulrich Wilhelm, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ so treffend gesagt haben. Ich zitiere: „In einer Zeit, in der die Öffentlichkeit im Netz in immer mehr Teil-Öffentlichkeiten zerbricht, in polarisierte, fragmentierte Echokammern und Filterblasen, ist die Frage, ob überhaupt noch jemand Gesamtöffentlichkeit herstellen kann, wirklich entscheidend.“ Zitatende. Ja, so ist es. Oder wie Francis Fukuyama in seinem neuen Buch „Identity“ schreibt: Im Netz entstehen „eigenständige Gemeinschaften, die durch geteilte Identitäten abgeschottet sind“. Eine funktionierende, eine übergreifende Öffentlichkeit aber ist für die Demokratie essentiell. Oder wie Thomas Jefferson, Verfasser der Unabhängigkeitserklärung und dritter Präsident der Vereinigten Staaten, es – und das ist aktueller denn je - gesagt hat: - „Information - ist die Währung der Demokratie.“ Das Netz indes kassiert die tradierte Ordnung des gesellschaftlichen Diskurses. Klassische Qualitätsmedien büßen ihre Rolle als Gatekeeper ein. Und dieser Strukturwandel der Öffentlichkeit ist keineswegs neutral. Der Logik der Datenökonomie folgend, gewinnt Aufmerksamkeit immer die Zuspitzung und Emotionalisierung gegenüber der Sachlichkeit und der Differenzierung. Und so werden politische Diskussionen manipulationsanfälliger, kurzatmiger, polemischer – zwischen Empörung und Shitstorm, Mainstream, Skandalisierung und – Helikopter-Moral – sprich ohne Kenntnis, aber mit fester Gesinnung. Im Netz gilt zuweilen: - Dumm – klickt gut.
Demokratie aber braucht den Dialog, den Diskurs, die Differenzierung und die Kompromisssuche, nicht den gesinnungsgetriebenen Schlagabtausch. Sie basiert auf Vernunft, nicht auf Gefühlen und Ängsten. Wenn aber die Information, also die Währung der Demokratie, verkommt, dann muss, wer nichts mehr sicher weiß, alles glauben. - Die politischen Auswirkungen können wir in Europa wie in den USA gleichermaßen beobachten. Die Anfälligkeit für die Männer – und Frauen - mit den einfachen Antworten steigt. Die Disruption, – sie ist eben nicht neutral, sie nagt an der Demokratie. Und deshalb brauchen wir in diesen Zeiten - bei aller Konkurrenz – auch den intellektuellen Schulterschluss der Qualitätsmedien. Denn wer sonst sollte die Gegenkraft darstellen? - So haben es uns auch die Verfassungsrichter in ihrem jüngsten Urteil im Juli letzten Jahres aufgetragen, nämlich – Zitat - „durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken“.
Wenn das gelingen soll, dann müssen wir uns täglich fragen, wie durch Qualität, Attraktivität und Kreativität unserer Angebote, durch kluge Aufmachung und Platzierung ein breites Publikum – so breit wie möglich - interessiert werden kann - für politisch und gesellschaftlich relevante Inhalte. (Dazu braucht es übrigens Profis in den Redaktionen. Und deswegen – ruft Ihnen der Vorsitzende der Deutschen Journalistenschule bei dieser Gelegenheit zu – müssen wir auch ohne Knausern in die Ausbildung des Nachwuchses investieren.)
Dass Verleger, Printmedien und öffentlich-rechtliche Programmanbieter in der Analyse nah sind, zeigt mir auch die Ausschreibung des Theodor-Wolff-Preises 2019, des Journalisten-Preises der deutschen Zeitungen. Als Thema des Jahres hat die Jury „Welt im Umbruch – Demokratie in Gefahr?“ ausgelobt. Bei diesem Thema sitzen wir in einem Boot und die Gegner sind andere. Und deshalb sollten sich, finde ich, gerade jene nicht gegenseitig bekämpfen, oder auch nur desavouieren – Stichwort Staatsfunk oder Zwangsbeitrag – die, immer noch – alle Studien zeigen es - die größte Glaubwürdigkeit bei den Lesern, den Zuhörern oder Zuschauern genießen. Das ist unser Kapital. Das müssen wir uns täglich verdienen. Und das sollten wir nicht selbst beschädigen.
Wenn es um die Glaubwürdigkeit deutscher Medien geht, gibt’s durchaus Erfreuliches. Egal welche Untersuchung man heranzieht: - Sie ist gestiegen. 2015 noch – so eine infratest-dimap-Untersuchung - antworteten auf die Frage, ob sie Informationen in den deutschen Medien für glaubwürdig halten, 52% mit „Ja“. Aktuell sind es 65%. Also ein klares Plus! Und die amerikanische „Pew Research-Studie“ wiederlegt einen vermeintlichen Trend: Zwar beziehen 73 Prozent der 18- bis 29-Jährigen hierzulande ihre Nachrichten am ehesten Online. Aber ihr Vertrauen gilt dort am ehesten den – Achtung! - Online-Angeboten etablierter Printmarken und des öffentlich rechtlichen Rundfunks.
Und deshalb ist für mich der gefährlichste Gegner nicht das Konkurrenzblatt oder der Konkurrenzsender, sondern Politikverdrossenheit in unheiliger Allianz mit gezielter Desinformation. Im Geiste
des überaus erfolgreichen Volksbegehrens zum Schutz der Artenvielfalt in Bayern sollten wir daher - bei aller gesunden journalistischen Konkurrenz - auch wieder mehr Schulterschluss wagen und die
Artenvielfalt in den Qualitäts-Medien als das begrüßen, was sie ist: - Reichtum nämlich. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Begrüßung zur Pressekonferenz anläßlich der Vorstellung von Heinrich Breloers zweiteiligem Dokudrama über BRECHT
22. Januar 2019 im East-Hotel Hamburg
Liebe Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen,
einen neuen Film von Heinrich Breloer vorstellen zu dürfen, das ist immer etwas Besonderes. Schon allein deshalb, weil es so einen Film nicht jedes Jahr geben kann. Vor allem aber, weil man von Breloers Arbeiten etwas erwarten darf, das im Fernsehen selten geworden ist. Etwas, das sich eben nicht mit dem heute gängigen Begriff des „TV-Events“ beschreiben lässt.
Ein Event ist auf die situative, die momentane Wirkung angelegt. Breloers Filme hingegen wirken nachhaltig. Sie sind im besten Wortsinn tiefgründig und hintersinnig. Ein Breloer-Film fordert. Vielleicht überfordert er auch an manchen Stellen – aber gerade das macht Breloers Handschrift aus: Seinem Publikum etwas zuzumuten und - auch zuzutrauen.
Denn nichts weniger ist sein Anspruch: Er will mit seinen Dokudramen das nationale Narrativ justieren. Ob „Wehner“, „Todesspiel“, „Die Manns“ oder „Speer und Er“ – Heinrich Breloer will scheinbar Vergangenes, Sicher-Geglaubtes und Fest-Stehendes neu auslegen - anhand von Schlüsselfiguren der jüngeren Geschichte. Mit seinen filmischen Erkundungen zielt er auf das kollektive Gedächtnis der Republik und will Beiträge zu deren geistiger Selbstvergewisserung leisten.
Nun also Brecht und Deutschland, Brecht und die DDR. Ich bin schon jetzt sicher, dass Breloers Film das Bild des Dramatikers und Lyrikers verändern wird. Denn sein Zweiteiler holt den Dichter aus so mancher Schublade, in die er in den letzten 50 Jahren geraten ist. Und so entfaltet Brecht auch eine neue, ungeahnte Aktualität.
Breloer stellt den Theatermann Brecht selbst auf die Film-Bühne und beleuchtet ihn mit seinen Mitteln. Das sind formal die des Dokudramas, der sogenannten „offenen Form“. Offen auch deshalb, weil darin die Figuren niemals auf eine bestimmte Sichtweise festgelegt und verkürzt werden. Vielmehr werden Perspektiven eröffnet, Ambivalenzen, Zweideutigkeiten, Widersprüche zutage befördert, Fragliches und Fragwürdiges vorgeführt. Mit einem Wort: Komplexität gezeigt. Das mag in der medialen Welt 2019 vielleicht nicht „en vogue“ sein, stemmt sich gegen den Stream des Vereinfachens, - aber – glauben Sie mir: So ist sie, die Wirklichkeit: - komplex! (– Übrigens nicht nur bei Brecht.)
Breloers Methode funktioniert natürlich am besten an Charakteren, die selbst vielschichtig, schillernd und gebrochen sind – sprich bei Künstlern und Schriftstellern. Nach dem großbürgerlichen Thomas Mann nun also – quasi als Gegenbild – der Links-Intellektuelle Bertolt Brecht.
Für sein Dokudrama nutzt Breloer die Techniken von Brechung und Spiegelung, also genau die Mittel, die Brecht für sein „epischen Theater“ eingesetzt hat. Insofern wendet er Brecht auf Brecht selbst an. Oder anders gesagt: Sein Dokudrama ist gleichsam episches Theater im Medium des Fernsehens.
Dokudramamatisches Erzählen hat sich mittlerweile als eigenes Genre im Fernsehen etabliert, und wird vom Ersten in besonderer Weise gepflegt. Denken Sie nur in jüngster Zeit etwa an "Die Unsichtbaren", "Die Affäre Borgward", "Der Auf-Schneider“, "Lehman. Gier frisst Herz“ oder "Die ALDI-Brüder".
Historische Dokumentationen kommen heute oft nicht mehr ohne Spielszenen aus. Umgekehrt schneiden historische Fernsehfilme Sequenzen aus Originalmaterial in die Handlung. Aber keiner beherrscht die Kunst der Schnittmontage so wie Heinrich Breloer, weil sie bei ihm eben nie rein illustrativ ist, sondern immer reflektierende Funktion hat.
Sein Dokudrama ist sozusagen das Original, - vom Erfinder selbst für Das Erste entwickelt. (Wobei ich hier in Hamburg immer auch des Miterfinders gedenken muss, meines früheren NDR-Kollegen Horst Königstein.)
Und eben deshalb ist ein Breloer etwas Besonderes. Und dann natürlich noch aus einem weiteren Grund, den ich hervorheben will: der Besetzung. Mit Tom Schilling und Burghart Klaußner sind heute zwei „Brechts“ hier anwesend, die - spielend - diese filmische Neubetrachtung des Dramatikers zum Leben erwecken. Und Adele Neuhauser gibt im Film die Helene Weigel, als wäre sie leibhaftig zugegen. Hier bei uns ist außerdem Mala Emde, die wunderbar einfühlsam und berührend die erste Liebe Brechts spielt. Sie alle heiße ich heute herzlich willkommen!